Carsten Benke (Bürgerverein in der Gartenstadt Frohnau und Christoph Plachy (Grundbesitzer-Verein der Gartenstadt Berlin-Frohnau)
Für die Gartenstadt Frohnau bestanden seit ihrer Gründung 1910 Regeln zur Bebaubarkeit, Nutzung, Gebäudegestaltung und Gartenanlage. Diese Vorgaben wirkten zunächst über Grundbucheintragungen, die Bauordnung für Vororte und durch den auf Grundlage des von Brix/Genzmer gewonnen Wettbewerbs von 1908 festgesetzten Fluchtlinien- bzw. Bebauungsplan.
Das von der Berliner Terrain Centrale ausgearbeitete und aufwändig angelegte gegliederte Straßennetz sowie das von Ludwig Lesser entworfene Grünflächensystem trugen ebenfalls zur erstaunlichen Stabilität der ursprünglichen Planungsidee einer offenen und gestalterisch harmonischen Landhausbebauung bei.
Trotz mehrerer einschneidender gesellschaftspolitischer Umwälzungen seit 1910 sind massive gestalterische Brüche, wie wir sie häufig in anderen Berliner Einfamilienhaus-Vororten beobachten können, in Frohnau deutlich seltener festzustellen.
Bis heute wird Frohnau durch einige große Landhäuser und Villen der Zeit vor 1918 und insbesondere zahlreiche qualitätvolle Bauten der 1920er und 30er Jahre geprägt. Spätere Bauten konnten sich in diese Typik meist gestalterisch und städtebaulich einordnen. Selbst für die Integration geschlossener Siedlungen wie der Barbarossahöhe von Paul Poser erwies sich das System als stabil und gleichzeitig flexibel genug. Von der hohen Gestaltungs- und Lebensqualität des gesamten Ensembles der Gartenstadt profitieren die Einwohnerinnen und Einwohner bis heute.
Zwischen den späten 1960er und den 90er Jahren gab es aber auch bedenkliche bauliche Entwicklungen, die hinsichtlich Gestaltung, Maßstäblichkeit und Verdichtung den Gartenstadtcharakter beeinträchtigten und auch zu schmerzlichen Verlusten wertvoller Bausubstanz führten. Nach einem langen Diskussionsprozess von Bezirksamt, Denkmalpflege, Bürgerinnen und Bürgern sowie Vereinen wurde schließlich 1997 eine Erhaltungsverordnung aufgestellt und 2006 wurden Bebauungspläne für ganz Frohnau festgesetzt, die die Bebaubarkeit wieder im Sinne der ursprünglichen Planungsidee neu regulierten bzw. im Lichte neuer Anforderungen weiterentwickelten.
Um die Funktion der nun schon bald 30 Jahre alten Erhaltungsverordnung im Wechselspiel mit anderen bau- und denkmalschutzrechtlichen Instrumentarien deutlich zu machen und den Bauwilligen praktische Informationen an die Hand zu geben, hat das Stadtentwicklungsamt Reinickendorf einen schon länger bestehenden Informationsflyer zur Erhaltungsverordnung überarbeitet. Der Bürgerverein und der Grundbesitzer-Verein begrüßen das ausdrücklich und haben sich dabei gerne eingebracht.
Link zum Flyer des Bezirksamtes: https://www.berlin.de/ba-reinickendorf/politik-und-verwaltung/aemter/stadtentwicklungsamt/stadtplanung-und-denkmalschutz/evo_frohnau_faltblatt_230524.pdf?ts=1716803001
Eine Erhaltungsverordnung nach § 172 Abs. 1 Nr. 1 Baugesetzbuch (BauGB) definiert ein Gebiet, in dem zur „Erhaltung der städtebaulichen Eigenart […] auf Grund seiner städtebaulichen Gestalt“ der Rückbau, die Änderung oder die Nutzungsänderung baulicher Anlagen der Genehmigung bedürfen. Diese Form der Erhaltungsverordnung ist von „Milieuschutzsatzungen“ nach § 172 Abs. 1 Nr.2 zu unterscheiden, die der Erhaltung der sozialen Zusammensetzung der Wohnbevölkerung dienen und die häufiger in der Berliner Innenstadt angewendet werden.
Die Frohnauer Erhaltungsverordnung soll über den Bestand an besonders wertvollen, über das Denkmalrecht geschützten einzelnen Gebäuden und Gärten hinaus die Grundstruktur der „Gartenstadt“ mit ihren zentralen baulichen und landschaftlichen Elementen bewahren. Eingriffe in das Ortsbild bedürfen nach der Erhaltungsverordnung einer Genehmigung. Dies betrifft nicht nur Abriss und Bau von Einfamilienhäusern, sondern auch baurechtlich eigentlich nicht genehmigungspflichtige Nebenanlagen, Carports, Schuppen und Mülltonnenunterstände. Die erhaltungsrechtliche Genehmigung ist von der Baugenehmigung zu unterscheiden. Ist ohnehin eine Baugenehmigung nötig, z.B. für einen Hausbau, werden beide Verfahren zusammen bei der zuständigen Behörde eingereicht.
Es liegt in der Natur der Sache, dass es unter den Frohnauerinnen und Frohnauern unterschiedliche Interessenslagen gibt: Zwischen dem Eigentümer, der ein Bauvorhaben plant, und dem Nachbarn, der den liebgewonnen Bestand erhalten will. Ebenso gibt es eine Spannung zwischen dem gesamtgesellschaftlichen Interesse am Erhalt eines herausragenden städtebaulichen Ensembles und den dringenden Zielen der Wohnraumversorgung und des nachhaltigen Bauens. Diese Interessenslagen gilt es abzuwägen. Eingriffe in Eigentumsrechte sind behutsam anzuwenden. Auch die Vereine erreichen immer wieder Hinweise von unterschiedlichen Seiten: diejenigen, die Abrisse von alter Bausubstanz in der Umgebung und Verdichtungen als Beschädigungen des Erscheinungsbildes der Gartenstadt empfinden und von Bauherren, die durch Genehmigungsvorbehalte in ihrem Gestaltungswillen beeinträchtigt werden und sich zur Sanierung älterer, beschädigter Bausubstanz nicht in der Lage sehen.
Aus Sicht der Vereine sind der neue Flyer und die überarbeitete Webseite des Stadtentwicklungsamtes gute erste Schritte zu Verbesserung der Informationslage: Nicht jeder weiß, dass er einen Schuppen in Frohnau genehmigen lassen muss – in den umliegenden Gemeinden und Ortsteilen ist das auch nicht erforderlich.
Ein nachträglicher Abriss eines nicht genehmigten Baus ist mehr als ärgerlich. Wenn man das Vorhaben aber frühzeitig abklärt, lassen sich häufig Lösungen finden. Auch bei größeren Bauvorhaben, ist es sinnvoll, dass sich Bauherren in einer frühen Phase des Entwurfsprozesses mit dem Grundcharakter der Gartenstadt auseinandersetzen. Dann lassen sich moderne wie traditionelle Ansätze gut integrieren. Häufig, aber nicht immer gelingt das. Eine Erhaltungsverordnung kann nicht alles regeln und sie darf auch nicht alles regeln. Kompromisse müssen immer wieder gefunden werden.
Entscheidend ist, dass die Verfahren wirklich schlank und transparent sowie in nachvollziehbarer Abwägung umgesetzt werden. Die Vereine regen deshalb an, ergänzend einen Leitfaden mit best practices und weiteren Hinweisen zur Erleichterung für Bauherren zu erstellen. Antragsformulare, insbesondere für nicht bauordnungsrechtlich genehmigungsbedürftige Anlagen, sind massiv zu entschlacken. In der heutigen Zeit müssen wir das Genehmigen und Bauen dringend beschleunigen. Aber Geschwindigkeit und Qualität des Bauens müssen sich nicht ausschließen. Im Idealfall „bemerkt“ der Bauherr das zusätzliche erhaltungsrechtliche Verfahren im Zuge eines Baugenehmigungsverfahrens für ein Einfamilienhaus gar nicht. Und bei einer einfachen Nebenanlage sollte ein Verfahren mit minimalen Formanforderungen und innerhalb von Tagen umsetzbar sein. Gute Vorbereitung in der Verwaltung und umfassende Information der Bürgerinnen und Bürger können zur Beschleunigung beitragen.
Eine Erhaltungsverordnung ist keine Gestaltungsverordnung: architektonisch-gestalterische Details können und sollen hierüber nicht geregelt werden. Die Erhaltungsverordnung selbst kann bei Neubauten nur die Einordnung in die städtebauliche Eigenart beurteilen und die Regeln des Bebauungsplans ergänzen. Zitat BauGB „Die Genehmigung zur Errichtung der baulichen Anlage darf nur versagt werden, wenn die städtebauliche Gestalt des Gebiets durch die beabsichtigte bauliche Anlage beeinträchtigt wird.“
Eine Gestaltungsverordnung, die z.B. detailliert bestimmte Dachneigungen, Farben, Fenster und Stile vorschreibt, gibt es in Frohnau nicht – das würde hier trotz der grundsätzlichen städtebaulichen Harmonie angesichts der Vielfalt im gestalterischen Detail nicht funktionieren.
Frohnau ist kein Museum. Aber Frohnau ist etwas ganz Besonderes. Das Leben in einem solch herausragenden Ensemble ist Glück und Herausforderung zugleich. Im Willen um Erhaltung müssen alle Akteure auf der einen Seite überschießende Regulierungswünsche mäßigen und wirklich auf die Kernziele beschränken. Ebenso wie ein Bauherr Verantwortung übernehmen muss und vielleicht nicht jede Individualität beim Bauen ausleben kann, die in einem Einfamilienhausgebiet auf der „Grünen Wiese“ möglich wäre. Eine klug angewandte Erhaltungsverordnung sollte einen Rahmen mit ausreichender Flexibilität bieten.
Die Vielzahl von Detaillösungen, die Bauherren und Baumeister in den vergangenen Jahrzehnten gefunden haben, um Fassaden, Baumassen, Zugänge zum Garten, Nebengebäude, Gartenpavillons, integrierte Garagen etc. zu organisieren, lohnt immer wieder einen vertiefenden Blick. Hier lassen sich Anregungen finden. Wir müssen heute noch mehr auf den Grundstücken organisieren: Eine größere Zahl von Abfallbehältern, das Außengerät für Wärmepumpen, Ladeeinrichtung für ein Elektromobil, Unterstellmöglichkeiten für eBikes, Solaranlagen, vielleicht weitere Anbauten für neue Familienmodelle und Anlagen der Niederschlagsentwässerung. Das alles muss möglich sein. Und alles sollte sich behutsam integrieren lassen. Es bietet sich an, hierfür gute Beispiele zu sammeln.
Der Erhalt eines prägenden Altbaus ist Kernanliegen der Erhaltungsverordnung. Hier stehen bei der Bewertung Gesichtspunkte des Ortsbildes im Zentrum: Zitat § 172 (3) BauGB „[D]ie Genehmigung [für einen Abriss darf] nur versagt werden, wenn die bauliche Anlage allein oder im Zusammenhang mit anderen baulichen Anlagen das Ortsbild, die Stadtgestalt oder das Landschaftsbild prägt oder sonst von städtebaulicher, insbesondere geschichtlicher oder künstlerischer Bedeutung ist.“
Wenn der Erhalt aber aus baulichen Gründen, wegen Schadstoffbelastung nicht möglich bzw. den Bauherren wirtschaftlich nicht mehr zumutbar ist, muss ein Abriss aber schnell und transparent entschieden werden, um ggf. zeitnah eine gleichzeitig zeitgemäße wie maßstäbliche Neubebauung zu ermöglichen. Noch schneller sollte entschieden werden, wenn ein Abrissantrag eben keinen ortsbildprägenden Bau betrifft. Auch solche Bauten gibt es vielfach in Frohnau, gerade aus den ersten Jahrzehnten nach 1945.
Die Erhaltungsverordnung, der Bebauungsplan oder denkmalschutzrechtliche Genehmigungen, die sämtlich in unterschiedlichen Bereichen des Stadtentwicklungsamts behandelt werden, haben im Übrigen nichts mit der aktuell diskutierten Zweckentfremdungsverordnung zu tun. Diese basiert auf wohnungspolitischen Vorgaben und wird im Wohnungsamt (Zuständigkeit bei der Bezirksbürgermeisterin) entschieden.
Die Zweckentfremdungsverordnung soll im Grundsatz verhindern, dass Wohnfläche durch Umnutzung in Gewerbe oder durch Abriss verloren geht. So weit. So gut. In einem Gebiet wie Frohnau kann die Zweckentfremdungsverordnung aber dazu führen, dass der Abriss von maroden Einfamilienhäusern in Einfachbauweise aus den beiden Nachkriegszeiten oder schadstoffbelastete Fertighäuser der 1960 und 70er Jahre verhindert wird, die weder nach Kriterien der städtebaulichen Eigenart, des Ensembleschutzes noch der Denkmalpflege erhaltenswert sind. Insbesondere die Vorgabe, dass nach Abriss und Neubau auch bei selbstgenutzten Eigenheimen eine Maximalmiete kaum über 9 Euro rechtsverbindlich festgelegt werden muss, belastet junge Familien. Diese potenziellen Bauherren können nicht sicher sein, was künftige persönliche Entwicklungen bringen, die vielleicht eine Vermietung erfordern. Zudem erschweren die Verpflichtungen massiv die Verhandlung mit Banken.
Dabei kann ein an die Umgebung und an neue energiepolitische Maßnahmen angepasster Neubau nach Abriss eines nicht erhaltenswerten und nicht ortsbildprägenden maroden Altbaus sogar dem Erscheinungsbild der Gartenstadt und der Nachhaltigkeit insgesamt zugutekommen. Aber das ist nicht Thema der Erhaltungsverordnung, sondern der Zweckentfremdungsverordnung, die hier nicht behandelt wird – siehe dazu auch aktuelle Texte von Herrn Wohltorf (z.B. DIE GARTENSTADT Mai 2024). Hier sollten schnell Lösungen gefunden werden, um das Bauen wieder zu erleichtern.
Ziehen wir ein Fazit: Der Erhalt des Ortsbildes und die damit seit 1910 verbundene Regelung der Bebaubarkeit tragen zum einzigartigen Charakter Frohnaus bei. Heute soll die Erhaltungsverordnung die städtebauliche Struktur sichern und schützt damit auch die Werterhaltung der Gebäude und die Lebensqualität vor Ort. Gleichzeitig ist es nach Ansicht der Vereine aber wichtig, dass neue Anforderungen an Wohnraumversorgung, energetische Sanierung, erneuerbare Energien, Mobilität und Entwässerung durch die Bauherren in Einklang mit den Erhaltungszielen in schlanken und transparenten Verfahren umgesetzt werden können. Genehmigen und Bauen muss insgesamt schneller werden. Erhalt der Qualitäten der Gartenstadt und eine zeitgemessene und flexible Weiterentwicklung können dabei Hand in Hand gehen.
Weitere Informationen des Bezirksamtes zur Erhaltungsverordnung:
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